Am 27. August 2024 fällte das Oberlandesgericht Köln eine interessante Entscheidung im Fall 3 U 81/23, die sich mit der Haftung von Fahrzeuginsassen im Hinblick auf die Anschnallpflicht beschäftigt. Das Gericht entschied, dass die gesetzliche Anschnallpflicht nicht nur dem Schutz des Einzelnen dient, sondern auch dem Schutz anderer Fahrzeuginsassen. Das Urteil beleuchtet die Frage, inwieweit eine nicht angeschnallte Person für Verletzungen anderer Insassen verantwortlich gemacht werden kann und welche Rolle das Verhalten des Unfallverursachers dabei spielt.
Hintergrund und Verlauf des Unfalls
Der Fall begann mit einem Verkehrsunfall am 15. September 2018. Der Unfallverursacher, ein Versicherungsnehmer der klagenden Haftpflichtversicherung, war mit seinem Audi A5 Coupé unterwegs, als er stark alkoholisiert und mit überhöhter Geschwindigkeit in den Gegenverkehr geriet. Der Unfall ereignete sich auf der Landstraße nahe der Überquerung der Bundesautobahn 560 in Sankt Augustin-Buisdorf. Der Audi kollidierte frontal mit einem entgegenkommenden Skoda Citigo, in dem sich drei Frauen befanden. Die Beifahrerin, Frau L., erlitt schwerste Verletzungen, darunter ein Schädelhirntrauma, Rippenserienfrakturen und Verletzungen der Lendenwirbelsäule. Die hinter ihr sitzende 38-jährige Beklagte war zum Zeitpunkt des Unfalls nicht angeschnallt und wurde selbst schwer verletzt.
Nach dem Unfall verlangte die Versicherung des verstorbenen Unfallverursachers von der nicht angeschnallten Beklagten 70 % der an Frau L. gezahlten Entschädigung zurück. Sie argumentierte, dass die Verletzungen der Beifahrerin durch das Eindringen der Knie der Beklagten in den Vordersitz verursacht wurden, ein Umstand, der bei Einhaltung der Anschnallpflicht vermeidbar gewesen wäre. Die Beklagte bestritt dies und argumentierte, dass der Unfall ausschließlich auf das Fehlverhalten des Unfallverursachers zurückzuführen sei, der erheblich gegen Verkehrsregeln verstoßen hatte.
Urteilsbegründung und dessen Implikationen
Das Oberlandesgericht Köln wies die Berufung der klagenden Haftpflichtversicherung gegen das Urteil der Vorinstanz zurück und bestätigte die Ablehnung einer Mithaftung der nicht angeschnallten Mitfahrerin. Das Gericht erkannte zwar an, dass die gesetzliche Anschnallpflicht gemäß § 21a Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung eine drittschützende Norm ist, die auch andere Fahrzeuginsassen schützen soll. Dennoch entschied der Senat, dass das erhebliche Verschulden des stark alkoholisierten Unfallverursachers die mögliche Mithaftung der Beklagten vollständig überwiegt.
Der Senat ließ offen, ob die Knie der Mitfahrerin tatsächlich die Rückenlehne des Beifahrersitzes durchdrungen hatten und dadurch zur Wirbelsäulenverletzung der Beifahrerin führten. Angesichts des grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens des Versicherungsnehmers trat eine mögliche Mithaftung der Beklagten vollständig zurück. Das Gericht berücksichtigte dabei die bisherige Rechtsprechung zur Mithaftung bei Nichteinhaltung der Gurtpflicht und entschied, dass in diesem Ausnahmefall die Verantwortung des Unfallverursachers überwog.
Fazit
Die Entscheidung verdeutlicht die komplexen Abwägungen, die Gerichte bei der Bestimmung der Haftungsanteile im Straßenverkehr anstellen müssen, und hebt die Bedeutung der Einhaltung der Anschnallpflicht hervor, ohne jedoch die primäre Verantwortung des Unfallverursachers zu übersehen.
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Dieser Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei spezifischen Anliegen oder Fragen wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 27. August 2024, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.