Dürfen Strafgefangene in ihrer Zelle Cannabis besitzen? Mit dieser Frage befasste sich das Kammergericht Berlin im Urteil vom 28.05.2025 (5 ORs 17/25). Im Kern ging es darum, ob der Haftraum als „gewöhnlicher Aufenthalt“ gilt und damit der Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis nach dem Konsumcannabisgesetz erlaubt sein kann. Was das Gericht entschieden hat und was das praktisch bedeutet, erfahren Sie in diesem Artikel der Kanzlei am Südstern aus Berlin.
Ein Häftling, 45 Gramm Haschisch und eine Grundsatzfrage
Ausgangspunkt war der Alltag eines Mannes, der seit dem 7. September 2023 eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verbüßt. Sein Lebensmittelpunkt war damit – zwangsläufig – die Justizvollzugsanstalt. Am 23. April 2024 fanden Bedienstete in seinem Haftraum 45,06 Gramm Cannabisharz. Unstreitig war die Substanz zum Eigenkonsum bestimmt. Die Menge lag damit unter der Schwelle von 50 Gramm, die das Konsumcannabisgesetz am Wohnsitz oder am gewöhnlichen Aufenthalt für Erwachsene grundsätzlich erlaubt.
Das Verfahren nahm jedoch eine Wendung: Das Amtsgericht Tiergarten beurteilte den Fund im Haftraum als erlaubten Besitz nach dem Konsumcannabisgesetz und sprach den Mann insoweit frei. Gleichzeitig verurteilte es ihn wegen eines anderen, separaten Betäubungsmitteldelikts zu 90 Tagessätzen zu je zehn Euro. Der Streit drehte sich im Kern also nicht um die Frage, ob Cannabis gefunden wurde, sondern darum, ob der Aufbewahrungsort – die Gefängniszelle – rechtlich als „gewöhnlicher Aufenthalt“ gelten kann.
Die Staatsanwaltschaft legte Sprungrevision ein. Aus ihrer Sicht ist die Erlaubnis zum Besitz in dieser Höhe auf private Wohnräume ausgerichtet und dürfe nicht auf Hafträume übertragen werden. Sie argumentierte, die Gefängniszelle sei weder Wohnsitz noch gewöhnlicher Aufenthalt im rechtlichen Sinn. Außerdem verwies sie auf Sicherheits- und Ordnungsbelange des Vollzugs und zog eine Parallele zu einer Vorschrift aus der Strafprozessordnung, nach der ein gewöhnlicher Aufenthalt für Gerichtsstandsfragen nicht durch erzwungene Unterbringung begründet werde. Kurz gesagt: Die Anklagebehörde wollte erreichen, dass der Fund in der Zelle trotz der Teil-Legalisierung weiterhin strafbar bleibt.
Für den Gefangenen selbst war die Lage klar. Er hatte die Cannabisprodukte für sich aufbewahrt, in einer Menge unter der Gesetzesgrenze. Sein Alltag spielte sich seit vielen Monaten im Haftraum ab. Genau hier lag der menschliche Kern des Rechtsstreits: Kann ein Ort, an dem jemand über einen längeren Zeitraum tatsächlich lebt und seine sozialen Kontakte pflegt – wenn auch unfreiwillig – rechtlich als gewöhnlicher Aufenthalt gelten, mit den daraus folgenden Erlaubnissen?
Das Kammergericht bestätigt den Freispruch
Der 5. Strafsenat des Kammergerichts wies die Revision der Staatsanwaltschaft zurück. Die zentrale Begründung: Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ meint den Ort, an dem sich eine Person nicht nur vorübergehend tatsächlich aufhält und ihren Lebensmittelpunkt hat. Entscheidend sind die tatsächlichen Lebensverhältnisse, nicht die Freiwilligkeit des Aufenthalts. Wer über mindestens sechs Monate zusammenhängend in der Justizvollzugsanstalt lebt, hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort. Auf diese Weise knüpft das Gericht an die Legaldefinition im Konsumcannabisgesetz an, die der Gesetzgeber erkennbar aus dem Steuer- und Sozialrecht übernommen hat.
Wichtig ist auch, was das Gericht ausdrücklich nicht verlangt. Es ist unerheblich, dass ein Haftraum nicht als Wohnung im Sinne des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung gilt. Der gewöhnliche Aufenthalt ist ein eigener, einfachgesetzlicher Begriff und setzt keinen verfassungsrechtlichen Wohnungsbegriff voraus. Ebenso lehnte der Senat die Übertragung der Gerichtsstandsregel aus der Strafprozessordnung ab, weil der Gesetzgeber sie gerade nicht zur Auslegung des Konsumcannabisgesetzes herangezogen hat.
Ein weiteres Argument der Staatsanwaltschaft betraf Sicherheit und Ordnung im Vollzug. Auch hier blieb das Gericht bei einer klaren Linie: Solche Erwägungen sind im Konsumcannabisgesetz für den Besitz an sich nicht angelegt. Der Gesetzgeber hat für bestimmte Orte explizit Sonderregeln geschaffen, etwa für militärische Bereiche oder Schulen. Für Justizvollzugsanstalten gibt es eine solche gesetzliche Ausnahme nicht. Deshalb kann der Erlaubnistatbestand nicht über Sicherheitsbedenken verengt werden. Strafrechtliche Grenzen dürfen nicht durch Ausdehnung ohne klare gesetzliche Grundlage verschoben werden.
Zugleich weist das Gericht auf die praktische Trennlinie hin: Strafloser Besitz ist nicht gleichbedeutend mit erlaubtem Verhalten im Vollzug. Anstaltsleitungen können aufgrund der Vollzugsgesetze den Besitz und den Konsum in der Anstalt organisatorisch untersagen und Verstöße disziplinarisch ahnden. Strafrechtlich bleibt der Besitz innerhalb der gesetzlichen Menge aber folgenlos. Offen gelassen hat das Gericht die Frage, ob ein Eigenanbau von Cannabispflanzen im Haftraum zulässig sein könnte. Hier unterscheidet das Gesetz zwischen Besitz und privatem Eigenanbau, der nach seinem Wortlaut auf private Räumlichkeiten ausgerichtet ist.
Im Ergebnis bestätigte das Kammergericht den Freispruch des Amtsgerichts Tiergarten für den Cannabisbesitz im Haftraum und legte die Kosten der Landeskasse Berlin auf. Für den Betroffenen bedeutete dies: Der Besitz von 45,06 Gramm Cannabisharz in seiner Zelle war nach dem Konsumcannabisgesetz erlaubt, weil die Zelle sein gewöhnlicher Aufenthalt war.
Was bedeutet das für Häftlinge und Angehörige
Für die Praxis heißt das: Wer eine Freiheitsstrafe verbüßt und sich seit längerem in der Justizvollzugsanstalt aufhält, kann in seinem Haftraum bis zu 50 Gramm Cannabis straffrei besitzen. Das ändert nichts daran, dass Anstalten den Besitz und besonders den Konsum aus Gründen der Ordnung verbieten und disziplinarisch sanktionieren können. Betroffene sollten daher die rechtliche und die vollzugsinterne Ebene unterscheiden und sich im Zweifel beraten lassen.
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Dieser Blog-Artikel dient ausschließlich zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei konkreten Fragen oder Anliegen empfehlen wir, einen qualifizierten Rechtsanwalt zu konsultieren.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 28.05.2025, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichts.
