Darf ein Patient seinem Hausarzt für besondere Betreuung ein Grundstück vermachen? Mit dieser Frage befasste sich der Bundesgerichtshof am 2. Juli 2025 im Verfahren IV ZR 93/24. Im Mittelpunkt stand die Spannung zwischen ärztlicher Berufsordnung und der grundrechtlich geschützten Testierfreiheit, also dem Recht, frei über das eigene Vermögen von Todes wegen zu verfügen. Welche Hintergründe der Fall hatte und wie der BGH entschieden hat, erfahren Sie in diesem Artikel der Kanzlei am Südstern aus Berlin.
Ein Patient sucht Sicherheit und bindet seinen Hausarzt ein
Der Fall beginnt mit einem älteren, alleinstehenden Mann, der seit dem Frühjahr 2015 von einem Hausarzt betreut wurde. Er war von seinem familiären Umfeld enttäuscht und wollte sicherstellen, dass er verlässlich medizinisch und praktisch unterstützt wird. Am 22. Januar 2016 trafen sich der Patient, der Hausarzt sowie die Pflegerin des Patienten, die später beklagte Partei, und deren Tochter bei einem Notar.
Gemeinsam schlossen sie einen Vertrag, den sie Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag nannten. Der Inhalt war klar formuliert. Der Arzt verpflichtete sich, über die reine Behandlung in der Praxis hinaus für den Patienten da zu sein. Dazu gehörten medizinische Beratung und Behandlung, Hausbesuche, ständige telefonische Erreichbarkeit auch abends und am Wochenende sowie Unterstützung bei Medikamentenfragen und Abstimmungen mit Fachärzten. Der Arzt sollte den Patienten auch im häuslichen Umfeld begleiten, wenn altersbedingte Einschränkungen zunahmen, etwa bei Gedächtnisproblemen. Zudem sollte er bei der Erstellung einer Patientenverfügung helfen und bei Bedarf bei alltäglichen Angelegenheiten unterstützen, zum Beispiel Post, Finanzen oder Behördengänge im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit und Schwerbehinderung.
Als Gegenleistung bestimmte der Patient im Vertrag, dass der Arzt nach seinem Tod ein bestimmtes Grundstück aus seinem Vermögen erhalten sollte. Allen Beteiligten war bewusst, dass Leistung und Gegenleistung im Ergebnis in einem Missverhältnis stehen konnten, etwa wenn der Patient unerwartet früh versterben sollte. Dennoch erklärten sie, dieses Risiko zu tragen. Einige Wochen später, am 11. März 2016, errichtete der Patient ein notarielles Testament. Darin setzte er die Pflegerin als Alleinerbin für den Teil seines Vermögens ein, der nicht bereits durch den zuvor geschlossenen Vertrag erfasst war.
Anfang Januar 2018 verstarb der Patient, ledig und kinderlos. Die Pflegerin nahm den Nachlass in Besitz. Im Dezember 2019 wurde über das Vermögen des Hausarztes das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter des Arztes klagte daraufhin gegen die Pflegerin. Er verlangte die Übertragung des im Vertrag zugedachten Grundstücks in die Insolvenzmasse, damit die Gläubiger des Arztes daraus befriedigt werden können. Vor dem Landgericht Bielefeld und vor dem Oberlandesgericht Hamm blieb die Klage ohne Erfolg.
Das OLG deutete die Zuwendung als Vermächtnis zugunsten des Arztes. Ein Vermächtnis bedeutet vereinfacht, dass eine bestimmte Person einen konkreten Vermögensgegenstand aus dem Nachlass erhält, ohne Erbe im Ganzen zu werden. Nach Auffassung des OLG war dieses Vermächtnis aber unwirksam. Begründung des Gerichts war die ärztliche Berufsordnung. Diese verbietet es Ärztinnen und Ärzten, Geschenke oder Vorteile von Patienten zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn dadurch der Eindruck entsteht, die ärztliche Unabhängigkeit könne beeinflusst sein. Nach Ansicht des OLG führte der Verstoß gegen dieses Verbot dazu, dass die Zuwendung zivilrechtlich unwirksam ist. Der Insolvenzverwalter hielt dem entgegen, dass die Vereinbarung die Testierfreiheit des Patienten abbildet. Testierfreiheit bedeutet, dass jeder grundsätzlich frei bestimmen darf, wer nach dem Tod welches Vermögen erhalten soll. Er vertrat die Ansicht, die Berufsordnung könne diese Freiheit nicht aushebeln. Mit dieser Argumentation legte er Revision zum Bundesgerichtshof ein.
Der BGH betont die Testierfreiheit und verweist zurück
Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung des OLG Hamm auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück. Im Kern stellte der BGH klar, dass ein Vermächtnis zugunsten eines behandelnden Arztes nicht allein deshalb unwirksam ist, weil es möglicherweise gegen die ärztliche Berufsordnung verstößt. Der Hintergrund dieser Wertung ist zweifach. Erstens richtet sich die einschlägige Vorschrift der Berufsordnung an den Arzt und regelt dessen Verhältnis zur Ärztekammer. Sie soll die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen und das Ansehen des Berufsstandes schützen. Der Patient oder dessen Angehörige werden durch diese Norm jedoch nicht geschützt. Deshalb folgt aus einem möglichen Berufsrechtsverstoß nicht automatisch die Nichtigkeit der zivilrechtlichen Zuwendung, berufsrechtliche Regelverstöße können durch berufsrechtliche Maßnahmen der Kammern sanktioniert werden.
Zweitens betonte der BGH die grundrechtlich geschützte Testierfreiheit. Diese erlaubt es dem Erblasser, nach eigenen Vorstellungen über sein Vermögen von Todes wegen zu verfügen. Eine Einschränkung dieser Freiheit bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die ausreichend bestimmt ist. Vorschriften eines Berufsverbandes, wie eine Berufsordnung, genügen dafür nicht. Eine generelle Unwirksamkeit von Zuwendungen im Todesfall zugunsten behandelnder Ärzte ließe sich über die Berufsordnung daher nicht begründen. Damit ist jedoch noch nicht entschieden, dass die konkrete Zuwendung im Ergebnis wirksam ist.
Der BGH wies ausdrücklich darauf hin, dass das OLG Hamm noch prüfen muss, ob die Vereinbarung sittenwidrig sein könnte. Sittenwidrigkeit bedeutet, vereinfacht gesagt, dass ein Geschäft gegen grundlegende Wertvorstellungen verstößt. Dabei kann es auf das Zustandekommen, das Verhalten der Beteiligten und ein mögliches grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ankommen. Nach dem bisherigen Aktenstand war dazu noch keine ausreichende Prüfung erfolgt. Ebenso stellte der BGH klar, dass aus Wettbewerbsstrafnormen in diesem Fall nichts hergeleitet werden kann und auch keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Rechtsausübung erkennbar sind.
Für die Parteien bedeutet die Entscheidung Folgendes: Der Insolvenzverwalter des Arztes hat die Tür zu einem Anspruch auf Übertragung des Grundstücks wieder geöffnet, denn die pauschale Unwirksamkeit wegen eines Berufsrechtsverstoßes trägt nicht. Die beklagte Pflegerin kann jedoch weiterhin einwenden, dass die Vereinbarung sittenwidrig sei. Diese Frage muss das OLG Hamm nun konkret und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls klären.
Was bedeutet das für Patienten, Ärzte und Angehörige
Zuwendungen von Todes wegen zugunsten behandelnder Ärzte sind nicht automatisch unwirksam. Die Testierfreiheit des Patienten hat ein großes Gewicht. Ob eine konkrete Gestaltung Bestand hat, hängt aber von den Umständen ab. Wichtig sind eine klare Trennung zwischen ärztlicher Behandlung und Vermögensverfügungen, eine sorgfältige notarielle Gestaltung und Transparenz zwischen den Beteiligten. Wer eine solche Zuwendung erwägt, sollte frühzeitig rechtlichen Rat einholen. Die Kanzlei am Südstern unterstützt Sie dabei, Ihre Wünsche rechtssicher umzusetzen und Konflikte mit Angehörigen oder berufsrechtlichen Vorgaben zu vermeiden.
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Dieser Blog-Artikel dient ausschließlich zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Für konkrete Fragen oder Anliegen wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 2. Juli 2025, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichts.
