In einem aktuellen Fall, der vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verhandelt wurde (Az.: 5 AZR 284/24, Entscheidung vom 15. Januar 2025), ging es um die Frage, ob eine im Nicht-EU-Ausland ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung denselben Beweiswert hat wie eine in Deutschland ausgestellte Bescheinigung. Der Fall betraf einen Lagerarbeiter, der seit 2002 bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt ist und in den Jahren 2017, 2019 und 2020 mehrfach im direkten zeitlichen Zusammenhang mit seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hatte. Mehr über die Hintergründe des Sachverhalts und die Beurteilung durch das BAG erfahren Sie im heutigen Blogartikel der Kanzlei am Südstern.
Hintergrund des Falls und Rolle der Auslandskrankschreibung
Der Kläger war seit Mai 2002 als Lagerarbeiter bei der Beklagten tätig und bezog zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von 3.612,94 Euro. In den Jahren 2017, 2019 und 2020 hatte er bereits mehrfach direkt im Anschluss an Urlaube Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt.
Auch im Sommer 2022 nahm der Kläger Urlaub (22. August bis zum 9. September) und verbrachte diesen in Tunesien. Am 7. September, also noch während des Urlaubs, informierte er seine Arbeitgeberin per E-Mail über eine Krankschreibung bis zum 30. September. Er legte ein französischsprachiges Attest eines tunesischen Arztes bei, das ihm wegen „schwerer Ischialbeschwerden“ 24 Tage strikte Bettruhe sowie ein Reiseverbot bescheinigte.
Bereits am 8. September, einen Tag nach dem Arztbesuch, buchte der Kläger jedoch ein Fährticket für den 29. September. An diesem Tag trat er die Rückreise nach Deutschland mit Auto und Fähre an. Nach seiner Rückkehr legte er eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines deutschen Arztes vor, datiert auf den 4. Oktober, mit einer Krankschreibung bis zum 8. Oktober.
Da die Arbeitgeberin Zweifel an der Glaubwürdigkeit der tunesischen Krankschreibung hatte, verweigerte sie die Entgeltfortzahlung und kürzte das Gehalt für September um 1.583,02 Euro netto. Der Kläger reichte später eine ergänzende Bescheinigung des tunesischen Arztes nach, blieb jedoch bei seiner Klage auf Lohnfortzahlung.
Gerichtliche Entscheidung zur Beweislast und Bescheinigungsbewertung
Das Arbeitsgericht hatte die Klage zunächst abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hin änderte das Landesarbeitsgericht München das Urteil und gab der Klage statt – es verurteilte die Arbeitgeberin zur Zahlung. Diese legte jedoch Revision ein. Das Bundesarbeitsgericht gab der Revision statt und hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts wiederum auf.
Dabei stellte das Bundesarbeitsgericht klar: Eine im Nicht-EU-Ausland ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat grundsätzlich denselben Beweiswert wie eine deutsche. Voraussetzung sei allerdings, dass daraus hervorgeht, dass der ausstellende Arzt zwischen bloßer Erkrankung und tatsächlicher Arbeitsunfähigkeit unterscheidet. Diese Prüfung habe das Landesarbeitsgericht versäumt, da es die von der Arbeitgeberin vorgetragenen Zweifel nur einzeln, nicht jedoch im Gesamtzusammenhang gewürdigt habe.
Kritisch sah das Bundesarbeitsgericht insbesondere, dass der tunesische Arzt eine 24-tägige Arbeitsunfähigkeit attestierte, jedoch keine Wiedervorstellung anordnete. Zudem hatte der Kläger bereits einen Tag nach der Diagnose, die Bettruhe und Reiseverbot vorsah, ein Fährticket für den 29. September gebucht und trat an diesem Tag auch die Rückreise nach Deutschland an. Hinzu kam, dass er bereits in früheren Jahren mehrfach direkt nach dem Urlaub krankgeschrieben war.
All diese Umstände seien zwar einzeln betrachtet nicht zwingend aussagekräftig, in ihrer Gesamtheit jedoch geeignet, den Beweiswert der Bescheinigung ernsthaft infrage zu stellen.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Beweiswert der vorgelegten Bescheinigung erschüttert sei. Damit liege die volle Darlegungs- und Beweislast für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit beim Kläger. Da das Landesarbeitsgericht hierzu keine ausreichenden Feststellungen getroffen hatte, wurde der Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen.
Fazit
Dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, insbesondere solche aus dem Ausland, klar und nachvollziehbar die Arbeitsunfähigkeit dokumentieren. Arbeitgeber haben das Recht, bei berechtigten Zweifeln den Beweiswert solcher Bescheinigungen anzuzweifeln, was für Arbeitnehmer bedeuten kann, dass sie ihre Arbeitsunfähigkeit detailliert nachweisen müssen.
Die Kanzlei am Südstern aus Berlin steht Ihnen gerne für eine persönliche Beratung zur Verfügung. Unsere Kanzlei kann Ihnen helfen, die Auswirkungen dieser Entscheidung aus dem Arbeitsrecht zu verstehen und Sie bei rechtlichen Fragen unterstützen.
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Dieser Blog-Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Wenn Sie spezifische Fragen oder Anliegen haben, wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Bundesarbeitsgericht vom 15. Januar 2025, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.