Am 19. März 2024 verkündete das Oberlandesgericht Nürnberg eine interessante Entscheidung (Az.: Ws 188/24) in einem Strafverfahren, das sich mit der Frage auseinandersetzte, wann ein Haftbefehl gegen einen Angeklagten verhältnismäßig ist. Der Fall betraf einen Angeklagten, der wegen Beleidigung, Bedrohung, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und Vortäuschung einer Straftat vor Gericht stand und zur Hauptverhandlung nicht erschien. Erfahren Sie in diesem Blogartikel der Kanzlei am Südstern, wie das Gericht entschieden hat.
Der Weg zum Gericht: Vorwürfe und vorläufige Maßnahmen
Der Angeklagte war im Jahr 2023 in mehrere rechtliche Auseinandersetzungen verwickelt. Ihm wurde vorgeworfen, eine Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort und Vortäuschung einer Straftat begangen zu haben. Die Anklage wurde im Dezember 2023 zugelassen, und der Angeklagte wurde für eine Hauptverhandlung am 9. Januar 2024 geladen. Trotz ordnungsgemäßer Zustellung der Ladung blieb der Angeklagte der Verhandlung unentschuldigt fern.
Am Tag der Verhandlung erschien der Angeklagte jedoch nicht. Stattdessen rief der Angeklagte bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts an und erklärte, er habe verschlafen, nachdem er die ganze Nacht nicht geschlafen habe. Trotz dieser Mitteilung erließ das Amtsgericht Weiden einen Haftbefehl, da das Gericht seine Begründung als Schutzbehauptung ansah. Die Annahme war, dass der Angeklagte absichtlich die Hauptverhandlung verzögern wollte, besonders da er unter laufender Bewährung stand und eine nicht unerhebliche Freiheitsstrafe zu erwarten hatte.
Der Angeklagte, der im Schichtdienst arbeitete und laut eigener Aussage keinen festen Schlafrhythmus hatte, legte Beschwerde gegen den Haftbefehl ein. Er argumentierte, dass eine Vorführung durch die Polizei als milderes Mittel ausreichend gewesen wäre. Unterstützt wurde dieser Antrag durch die Vorlage einer Bestätigung seines Arbeitgebers über seine Wechselschichtzeiten. Trotz dieser Argumente wurde seine Beschwerde vom Landgericht Weiden als unbegründet abgewiesen.
Urteilsfindung: Abwägung der Verhältnismäßigkeit
Das Oberlandesgericht Nürnberg entschied letztlich zugunsten des Angeklagten und stellte fest, dass sowohl der Beschluss des Landgerichts als auch der Haftbefehl des Amtsgerichts rechtswidrig waren. Das Gericht betonte, dass zwischen den Zwangsmitteln der polizeilichen Vorführung und des Haftbefehls ein Stufenverhältnis besteht. Grundsätzlich sollte zunächst die mildere Maßnahme der Vorführung ergriffen werden, bevor ein Haftbefehl erlassen wird.
In diesem Fall war der sofortige Erlass eines Haftbefehls als unverhältnismäßig erachtet worden. Das Gericht führte aus, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Angeklagte nicht hätte vorgeführt werden können. Darüber hinaus hatte der Angeklagte unmittelbar am Tag der Hauptverhandlung Kontakt mit dem Gericht aufgenommen, um auf sein Verschlafen hinzuweisen, was seine Absicht, nicht zu erscheinen, weniger wahrscheinlich machte. Auch die Tatsache, dass der Angeklagte über einen festen Wohnsitz und eine reguläre Beschäftigung verfügte, sprach gegen die Notwendigkeit eines sofortigen Haftbefehls.
Das Urteil unterstreicht die Wichtigkeit, dass Freiheitsbeschränkungen nur bei ausreichender Begründung und wenn alle milderen Mittel ausgeschöpft sind, angewendet werden sollten. Dies dient auch dem Schutz der Grundrechte der Angeklagten, die in einem angemessenen Verhältnis zu den Zwangsmaßnahmen stehen müssen. Das Oberlandesgericht hob die Entscheidung des Landgerichts auf und stellte die Rechtswidrigkeit des Haftbefehls fest.
Fazit
Diese Entscheidung verdeutlicht, dass Gerichte sorgfältig prüfen müssen, ob die Anordnung eines Haftbefehls wirklich notwendig ist oder ob mildere Maßnahmen ergriffen werden können.
Die Kanzlei am Südstern aus Berlin steht Ihnen gerne für eine persönliche Beratung zur Verfügung und kann Ihnen helfen, die Auswirkungen dieser Entscheidung aus dem Strafrecht zu verstehen und Sie bei rechtlichen Fragen unterstützen.
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Dieser Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei spezifischen Anliegen oder Fragen wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 19. März 2024.