Darf die Pflichtteilsstrafklausel in einem Berliner Testament schon dann greifen, wenn ein Kind seinen Pflichtteil nach dem ersten Erbfall ohne vorheriges Einvernehmen mit dem überlebenden Elternteil verlangt, obwohl dieser dann freiwillig zahlt? Mit dieser Frage befasste sich das Oberlandesgericht Zweibrücken im Beschluss vom 09.07.2025, Az. 8 W 56/24. In diesem Beitrag der Kanzlei am Südstern aus Berlin erfahren Sie, wie das Gericht den Begriff gegen den Willen versteht und warum das Ergebnis für betroffene Familien relevant ist.
Geschwister, ein Berliner Testament und die Pflichtteilsforderung
Im Mittelpunkt stehen zwei Geschwister, die Kinder einer Erblasserin und ihres bereits 2017 verstorbenen Ehemannes. Die Eltern hatten im Juli 2012 ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament verfasst, häufig Berliner Testament genannt. Dabei setzen sich Eheleute zunächst gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben nach dem Tod des Längerlebenden.
In dieses Testament nahmen die Eltern eine sogenannte Pflichtteilsstrafklausel auf. Solche Klauseln sollen verhindern, dass nach dem ersten Todesfall Pflichtteilsansprüche geltend gemacht werden, weil diese den überlebenden Ehegatten finanziell und organisatorisch belasten. Die konkrete Klausel lautete sinngemäß, dass ein Kind, das nach dem Tod des zuerst verstorbenen Elternteils gegen den Willen des überlebenden Ehegatten seinen Pflichtteil oder Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend macht und auch erhält, für beide Erbfälle mit seinem gesamten Stamm von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Der Pflichtteil ist der gesetzliche Mindestanspruch eines Kindes am Nachlass, der auch dann besteht, wenn es durch Testament enterbt oder zurückgestellt wurde.
Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2017 wandte sich die Tochter mit anwaltlichem Schreiben an die Mutter. Sie forderte zunächst Auskunft über den Nachlass zur vorläufigen Durchsetzung ihres Pflichtteilsrechts. Die Mutter, anwaltlich beraten, erkannte den Auskunftsanspruch an, erteilte die verlangten Informationen und zahlte anschließend den Pflichtteil. Eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter kam nicht zustande, beide Seiten kommunizierten über ihre Anwälte und einigten sich auf die Zahlung.
Nachdem später die Mutter verstorben war, beantragte der Sohn Anfang 2024 die Erteilung eines Alleinerbscheins. Seine Begründung war klar: Er war alleiniger Schlusserbe, weil die Schwester durch die Pflichtteilsstrafklausel vom Nachlass der Mutter ausgeschlossen sei. Sie habe den Pflichtteil nach dem ersten Todesfall gefordert und erhalten. Aus seiner Sicht sei dies gegen den Willen des überlebenden Elternteils erfolgt.
Die Tochter widersprach. Sie argumentierte, die Mutter habe ihren Anspruch nicht abgelehnt, sondern Auskunft erteilt und gezahlt. Es habe keinen erklärten entgegenstehenden Willen gegeben. Deshalb könne die Klausel nicht eingreifen. Das Nachlassgericht in Kaiserslautern folgte dieser Sicht nicht und stellte fest, dass die Voraussetzungen für den beantragten Erbschein zugunsten des Sohnes vorliegen. Dagegen legte die Tochter Beschwerde ein. Im Beschwerdeverfahren ging es damit im Kern um die Auslegung eines einzigen Bausteins der Klausel: Was bedeutet “gegen den Willen” in einem solchen familiären Kontext?
Die Entscheidung des OLG Zweibrücken
Das Oberlandesgericht Zweibrücken wies die Beschwerde der Tochter zurück. Entscheidend war die Auslegung des Begriffs gegen den Willen innerhalb der Pflichtteilsstrafklausel. Das Gericht stellte heraus, dass eine ausdrückliche Ablehnungshaltung des überlebenden Ehegatten nicht erforderlich ist. Es genügt regelmäßig, wenn der Pflichtteilsberechtigte ohne vorheriges Einvernehmen mit dem Erben einseitig und in konfrontativer Weise an den Erben herantritt, um seine Ansprüche vorzubereiten und durchzusetzen.
Warum kommt es nicht auf eine ausdrücklich erklärte Weigerung an? Das Gericht begründet dies mit dem Zweck der Klausel. Eine Pflichtteilsstrafklausel soll den Nachlass des Erstverstorbenen beim überlebenden Ehegatten zusammenhalten und diesen vor der Belastung durch Pflichtteilsstreitigkeiten schützen. Würde man verlangen, dass der überlebende Ehegatte seinen entgegenstehenden Willen offen erklären muss, hinge das Ergebnis vom individuellen Konfliktverhalten ab. Manche Menschen äußern ihren Unmut deutlich, andere bleiben still und fügen sich rechtlichen Forderungen, obwohl sie damit nicht einverstanden sind. Nach Auffassung des Gerichts darf das Eingreifen der Klausel nicht von solchen persönlichen Schwankungen abhängen.
Das OLG hob außerdem hervor, dass Formulierungen wie gegen den Willen in Pflichtteilsstrafklauseln eine berechtigte Funktion haben. Sie sollen verhindern, dass eine einvernehmliche Geltendmachung des Pflichtteils zu steuerlichen Gestaltungen unmöglich wird. Wird der Pflichtteil ausnahmsweise im Einvernehmen beider Seiten erhoben, etwa um Erbschaftsteuer zu optimieren, kann die Klausel außen vor bleiben. Genau dieses Einvernehmen fehlte hier jedoch. Der anwaltliche Auskunftsanspruch der Tochter war ausdrücklich zur vorläufigen Durchsetzung ihres Pflichtteilsrechts formuliert. Daraus leitete das Gericht ab, dass die Initiative konfrontativ und nicht in Absprache mit der Mutter erfolgte.
Die Tatsache, dass die Mutter den Auskunftsanspruch anerkannte und den Pflichtteil zahlte, änderte am Ergebnis nichts. Nach Auffassung des Gerichts ist das rechtlich nachvollziehbar. Ein Anerkenntnis oder eine anschließende Zahlung macht die vorangegangene einseitige Geltendmachung nicht einvernehmlich. Damit war die auflösende Bedingung der Klausel ausgelöst. Die Tochter und ihr gesamter Stamm sind von der Erbfolge nach der Mutter ausgeschlossen. Der Sohn wurde testamentarischer Alleinerbe, die Beschwerde blieb erfolglos. Die Tochter trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens, eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt. Der Geschäftswert wurde auf 95.407 Euro festgesetzt, basierend auf einem Nachlasswert von 190.814 Euro und einem Abänderungsinteresse von 50 Prozent.
Was bedeutet das für Familien mit Berliner Testament
Wer ein Berliner Testament mit Pflichtteilsstrafklausel hat, sollte wissen: Schon die einseitige, anwaltlich vorbereitete Geltendmachung des Pflichtteils ohne vorheriges Einvernehmen kann die Klausel auslösen. Ein ausdrückliches Nein des überlebenden Ehegatten ist nicht nötig. Wer aus steuerlichen oder familiären Gründen über eine faire und einvernehmliche Lösung nachdenkt, sollte dies klar abstimmen und dokumentieren, bevor erste Schritte zur Durchsetzung eingeleitet werden. Gleiches gilt für den überlebenden Ehegatten, der die Tragweite einer Zahlung verstehen und abwägen sollte. Wenn Sie unsicher sind, ob und wie Sie Ihren Pflichtteil geltend machen oder wie Sie als überlebender Ehegatte reagieren sollten, empfiehlt sich eine frühzeitige Beratung. Die Kanzlei am Südstern unterstützt Sie gerne dabei, Risiken aus Pflichtteilsstrafklauseln zu erkennen, Optionen abzuwägen und eine Lösung zu finden, die zu Ihrer familiären Situation passt.
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Dieser Blogartikel dient ausschließlich zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Für konkrete Fragen oder rechtliche Anliegen wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 09.07.2025, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichts.
