Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 29. Januar 2024 (Aktenzeichen: 29 K 910/22) befasste sich mit einem Antrag auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz. Im Mittelpunkt des Falles stand eine Ordensschwester, die aufgrund behördlicher Quarantäneanordnungen während der COVID-19-Pandemie ihre Tätigkeit als Pflegehilfskraft nicht ausüben konnte. Der Caritasverband Düsseldorf, bei dem die Schwester im Rahmen eines Gestellungsvertrages tätig war, hatte eine Entschädigungszahlung beantragt, die jedoch abgelehnt wurde. Das Urteil klärt grundlegende Fragen zur Anwendbarkeit des Infektionsschutzgesetzes auf Ordensgemeinschaften und deren Mitglieder.
Gestellungsvertrag und Quarantäne: Die Besonderheiten des Falls
Die Hauptakteurin des Falls, Frau M. T., ist Mitglied einer Ordensgemeinschaft. Seit 2010 arbeitet sie als Pflegehilfskraft für den Caritasverband Düsseldorf, jedoch nicht im Rahmen eines klassischen Arbeitsverhältnisses, sondern eines sogenannten Gestellungsvertrages. Gestellungsverträge sind spezielle Vereinbarungen, bei denen Mitglieder einer Ordensgemeinschaft auf Anweisung ihres Ordens für eine karitative Einrichtung arbeiten, ohne selbst direktes Arbeitsentgelt zu erhalten. Stattdessen zahlt der Caritasverband ein sogenanntes Gestellungsgeld an die Ordensgemeinschaft, welches im Jahr 2020 monatlich 3.745,41 Euro betrug.
Dieses Geld dient zur Deckung der Lebenshaltungskosten der Ordensschwester, einschließlich Unterbringung, Verpflegung und medizinischer Versorgung durch die Ordensgemeinschaft. Frau T. erhielt für ihre Arbeit keine direkte Vergütung von der Ordensgemeinschaft oder dem Caritasverband.
Im Juli und Oktober 2020 wurde Frau T. wegen der Corona-Pandemie von den Gesundheitsbehörden zweimal in häusliche Quarantäne geschickt: einmal für 19 Tage und einmal für 10 Tage. Aufgrund dieser Quarantäneanordnungen konnte sie ihrer Tätigkeit nicht nachgehen und der Caritasverband erhielt für diese Zeit kein Gestellungsgeld von der Einrichtung. Der Caritasverband beantragte daraufhin im Mai 2021 eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 3.447,26 Euro, die jedoch von der zuständigen Behörde im Dezember 2021 abgelehnt wurde. Die Begründung: Frau T. erhalte kein Arbeitsentgelt, somit läge kein Verdienstausfall vor.
Daraufhin erhob der Caritasverband Klage vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf. Er argumentierte, dass das Gestellungsgeld, das an die Ordensgemeinschaft gezahlt wird, Sozialversicherungsbeiträge und Steuern enthält, die im Falle eines regulären Arbeitsverhältnisses auch gezahlt werden müssten. Der Verdienstausfall sei bei der Ordensgemeinschaft entstanden, die ohne das Gestellungsgeld nicht in der Lage sei, die Versorgung ihrer Mitglieder sicherzustellen. Der Caritasverband sah sich aufgrund der Quarantäneanordnungen in einer finanziellen Zwickmühle und wies darauf hin, dass die Ordensschwester trotz der Quarantäne weiterhin unter der Weisung der Wohnbereichsleitung stand und arbeitsrechtliche Konsequenzen hätte tragen müssen.
Gerichtsurteil: Keine Entschädigung ohne Arbeitsentgelt
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf wies die Klage des Caritasverbandes ab. In seiner Begründung stellte das Gericht klar, dass ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz nur dann bestehe, wenn ein Verdienstausfall vorliege. Ein solcher Verdienstausfall müsse sich auf das Arbeitsentgelt beziehen, das dem Arbeitnehmer aufgrund seiner regelmäßigen Arbeitszeit zusteht und um Steuern und Sozialversicherungsbeiträge vermindert ist.
In diesem Fall stellte das Gericht fest, dass Frau T. weder vom Caritasverband noch von der Ordensgemeinschaft ein Arbeitsentgelt erhielt. Das Gestellungsgeld, das der Caritasverband an die Ordensgemeinschaft zahlt, ist keine direkte Vergütung für die Ordensschwester, sondern wird von der Ordensgemeinschaft verwendet, um die Lebenshaltungskosten ihrer Mitglieder zu decken. Das Gericht betonte, dass die Ordensgemeinschaft nicht als bloße „Zahlstelle“ ihrer Mitglieder fungiere, sondern eine eigenständige Einheit sei, die die Mittel verwaltet.
Das Gericht führte weiter aus, dass die Mitgliedschaft von Frau T. in der Ordensgemeinschaft eine Sonderbeziehung darstelle, die durch das religiöse Bekenntnis geprägt sei und auf die staatliches Recht, einschließlich des Arbeitsrechts, nicht ohne Weiteres angewendet werden könne. Die gewährten Sachleistungen wie Verpflegung und Unterbringung seien Grundverpflichtungen der Ordensgemeinschaft und nicht an die Tätigkeit der Ordensschwester beim Caritasverband gekoppelt.
Zudem verneinte das Gericht einen möglichen Entschädigungsanspruch der Ordensgemeinschaft selbst, da solche Ansprüche nur natürlichen Personen zustehen, die Adressaten einer infektionsschutzrechtlichen Anordnung sind. Da die Ordensgemeinschaft als juristische Person naturgemäß nicht Ansteckungsverdächtiger oder Adressat einer Quarantäneanordnung sein könne, scheide ein Entschädigungsanspruch aus.
Abschließend wies das Gericht darauf hin, dass es keine planwidrige Regelungslücke im Infektionsschutzgesetz gebe, die eine analoge Anwendung der Entschädigungsvorschriften auf Fälle wie diesen rechtfertigen würde. Das Gesetz sei bewusst darauf beschränkt, nur bestimmten Personenkreisen unter bestimmten Bedingungen eine Entschädigung zu gewähren, um materielle Not zu verhindern.
Das Urteil verdeutlicht die besonderen rechtlichen Rahmenbedingungen für Mitglieder von Ordensgemeinschaften und die Grenzen staatlicher Entschädigungsansprüche in solchen Fällen. Es zeigt, dass die spezielle Lebensweise und die rechtlichen Strukturen von beispielsweise Ordensgemeinschaften eine Rolle bei der Beurteilung solcher Entschädigungsfragen spielen.
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Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 29. Januar 2024, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.