Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen unter Ehegatten

von Rechtsanwalt Vincent Aydin, u.a. Anwalt für Erbrecht

Schenkungen unter Ehegatten sind ein weitverbreitetes Phänomen, das häufig aus Liebe und Vertrauen resultiert. Dennoch birgt dieses Verhalten auch rechtliche Komplikationen, insbesondere im Hinblick auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Trotz der seit langen bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen bleiben viele Fragen in diesem Bereich bis heute unbeantwortet. Dieser Aufsatz beleuchtet die rechtlichen Herausforderungen, die Schenkungen unter Ehegatten im Kontext des Pflichtteilsergänzungsanspruchs mit sich bringen.

Gesetzliche Rahmenbedingungen und Beginn der Frist

Grundsätzlich gilt, dass Schenkungen nur dann pflichtteilsergänzungspflichtig sind, wenn zum Zeitpunkt des Erbfalls noch keine zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind, § 2325 Abs. 3 S.1 BGB. Ausgenommen davon sind die Schenkungen an Ehegatten. Die jährliche Abschmelzung des Schenkungswertes um 10 Prozent über einen Zeitraum von zehn Jahren beginnt bei Schenkungen unter Ehegatten erst ab dem Zeitpunkt der „Auflösung der Ehe“. Daher unterliegen solche Schenkungen zeitlich unbegrenzt der Pflichtteilsergänzung, solange die Ehe nicht durch Scheidung, Aufhebung oder den Tod des beschenkten Ehegatten beendet wurde.

Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen beginnt die Frist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen an den Ehegatten des Erblassers „nicht vor der Auflösung der Ehe“ (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB). Dies bedeutet, dass die Frist erst mit der Rechtskraft des Urteils über die Scheidung (§ 1564 BGB) oder Aufhebung (§ 1313 BGB) der Ehe zu laufen beginnt. Wird die Ehe hingegen durch Tod aufgelöst, werden Schenkungen des Erblassers an den überlebenden Ehegatten auch dann in die Pflichtteilsergänzung einbezogen, wenn sie Jahrzehnte zurückliegen.  Diese Regelung stellt sicher, dass der überlebende Ehegatte nicht durch eine frühere Schenkung benachteiligt wird, solange die Ehe bestand. Sind jedoch seit der Auflösung der Ehe mindestens zehn Jahre verstrichen, bleiben Schenkungen an den früheren Ehepartner unberücksichtigt. Diese Fristregelung gilt unabhängig davon, ob die Ehe durch Tod, Scheidung oder Aufhebung beendet wurde, gemäß § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB.

Rechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte

Grundsätzlich soll die Abschmelzungsregel den pflichtteilsberechtigten Angehörigen des Erblassers gegen eine Aushöhlung ihres Pflichtteilsanspruchs durch lebzeitige Zuwendungen des Erblassers an Dritte schützen. Die Ausschlussfrist des § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB hingegen basiert auf der Annahme, dass während der Ehe geschenkte Gegenstände im Allgemeinen zum gemeinschaftlichen Vermögen der Ehegatten werden. Diese Annahme ist allerdings rechtspolitisch und verfassungsrechtlich umstritten, da sie Ehegatten schlechter stellt als Personen, die ohne Trauschein dauerhaft zusammenleben.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat jedoch die Verfassungsgemäßheit dieser Bestimmung bestätigt (vgl. BVerfG NJW 1991, 217; ZEV 2019, 79 (80); Karczewski ZEV 2020, 733 f.). Trotz der verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG und des besonderen Schutzes der Ehe gemäß Art. 6 Abs. 1 GG, sieht das BVerfG keine Verletzung der Grundrechte. Anders verhalte es sich nur, wenn für die Ungleichbehandlung „einleuchtende Sachgründe“ vorliegen. Nach der Entscheidung des BVerfG ergeben sich diese Sachgründe daraus, dass in einer Ehe starke und dauerhafte wirtschaftliche Verflechtungen bestehen, die weder unter nichtehelichen Lebensgefährten noch im Verhältnis zu Kindern oder anderen Dritten in dieser Form existieren. Der schenkende Ehegatte profitiere über die gegenseitigen ehelichen Unterhaltsverpflichtungen von Vermögensverschiebungen innerhalb der Ehe. Bei einer bestehenden Zugewinngemeinschaft ist der übertragene Vermögenswert zudem über einen möglichen Zugewinnausgleichsanspruch dem schenkenden Ehegatten nicht endgültig entzogen. Im Vergleich zu anderen Beschenkten stelle die wirtschaftlich starke Verflechtung zwischen Ehegatten einen strukturellen Unterschied dar.

Fazit

Die gesetzlichen Regelungen zum Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen unter Ehegatten reflektieren den Versuch, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des überlebenden Ehegatten und den Pflichtteilsberechtigten zu finden. Trotz verfassungsrechtlicher Bedenken und rechtspolitischer Überholtheit bleiben diese Bestimmungen vorerst bestehen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob zukünftige gesetzliche Anpassungen die bestehende Ungleichbehandlung von Ehegatten und unverheirateten Lebensgemeinschaften adressieren werden. In der Praxis sollten Ehegatten sich der möglichen rechtlichen Folgen von Schenkungen bewusst sein und gegebenenfalls rechtlichen Rat einholen, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden.

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