Am 20. August 2024 hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) eine Entscheidung gefällt (Az.: 5 StR 326/23), die die Verurteilung einer ehemaligen Zivilangestellten der SS im Konzentrationslager Stutthof betrifft. Verhandelt wurde die Revision der 99-jährigen Irmgard F. gegen ihre Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord durch das Landgericht Itzehoe. Der heutige Blogartikel der Kanzlei am Südstern in Berlin beleuchtet den Hintergrund des Falles und die Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
Die Geschichte von Irmgard F.
Irmgard F. wurde nach ihrem Abschluss an einer kaufmännischen Handelsschule im Alter von 18 Jahren als Stenotypistin im Konzentrationslager Stutthof angestellt. Während ihrer knapp zweijährigen Anstellung zwischen 1943 und 1945 war sie die einzige Stenotypistin im Geschäftszimmer der Abteilung I, die direkt dem Lagerkommandanten und dessen Adjutanten zuarbeitete.
Das Konzentrationslager Stutthof, in der Nähe von Danzig gelegen, war 1939 als Gefangenenlager gegründet und 1942 in ein Konzentrationslager umgewandelt worden und war Teil des nationalsozialistischen KZ-Systems. Ab 1944 wurden arbeitsfähige Häftlinge in andere Lager verlegt, während die arbeitsunfähigen Häftlinge in Stutthof zurückblieben und systematisch ermordet wurden.
Irmgard F. war in ihrer Rolle als Stenotypistin maßgeblich an der Bearbeitung des umfangreichen Schriftverkehrs beteiligt, der zur Organisation und Durchführung dieser Tötungen notwendig war. Sie nahm Diktate des Lagerkommandanten auf, erstellte maschinenschriftliche Reinschriften und bearbeitete eingehende und ausgehende Post. Ihre Arbeit war für den bürokratisch organisierten Lagerbetrieb von zentraler Bedeutung.
Die Angeklagte war sich der lebensfeindlichen Bedingungen im Lager bewusst. Sie konnte aus ihren Büroräumen auf das Lagergelände blicken und nahm die Zustände der Häftlinge wahr. Zudem war sie sich der Tötungen bewusst. Trotz dieses Wissens setzte sie ihre Arbeit fort und unterstützte so die Haupttäter bei der Durchführung der Morde.
Das Landgericht Itzehoe verurteilte Irmgard F. aufgrund dessen wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Revision ein.
Entscheidung des BGH: Bleibt die Verurteilung bestehen?
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Verurteilung von Irmgard F. durch das Landgericht Itzehoe. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagte durch ihre Tätigkeit als Stenotypistin die Haupttäter physisch und psychisch bei der Durchführung der Morde unterstützte. Ihre Arbeit war für die Organisation und Durchführung der Tötungen unerlässlich. Sie war sich der verbrecherischen Handlungen der Haupttäter bewusst und nahm diese billigend in Kauf. Ihre Tätigkeit verlor dadurch jeglichen „Alltagscharakter“ und wurde als Solidarisierung mit den Haupttätern gewertet.
Die Revision der Angeklagten wurde abgelehnt, da das Landgericht die Beihilfehandlungen und den Gehilfenvorsatz rechtsfehlerfrei festgestellt hatte. Die Angeklagte hatte positive Kenntnis von den Morden und unterstützte diese wissentlich und willentlich. Auch die Grundsätze zur Straffreiheit von berufstypisch neutralen Handlungen standen der Verurteilung nicht entgegen, da die Angeklagte von den verbrecherischen Handlungen der Haupttäter wusste und sich durch ihre Dienste mit ihnen solidarisierte.
Zusammenfassend bestätigte der Bundesgerichtshof die Verurteilung von Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen. Ihre Tätigkeit als Stenotypistin im Konzentrationslager Stutthof war für die Durchführung der Morde von zentraler Bedeutung, und sie unterstützte die Haupttäter wissentlich und willentlich bei ihren verbrecherischen Handlungen.
Die Kanzlei am Südstern aus Berlin steht Ihnen gerne für eine persönliche Beratung zur Verfügung. Unsere Kanzlei kann Ihnen helfen, die Auswirkungen dieser Entscheidung aus dem Strafrecht zu verstehen und Sie bei rechtlichen Fragen unterstützen.
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Dieser Blog-Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Wenn Sie spezifische Fragen oder Anliegen haben, wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. August 2024, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.